Die 2002 erschienene CD »a/c« ist ein guter Anfangspunkt, um über Philip Scheffners Arbeiten zu sprechen. Entstanden aus Samples von Videotapes, aufgenommen zwischen 1996 und 2001 in Bombay und Berlin – erschien das Projekt zunächst als Audioarbeit. Einzelne Tracks verschmelzen zu einem experimentellen Hörspielfeature. Thema: Stadt. Geräusche, Arrangements und Interviewausschnitte berichten von Zuständen, in die man sich begibt, wenn man sich in der Stadt bewegt. An einer Stelle heisst es: "It's not your city - it's a city you come to, which frightens you, which seduces you - but it's not yours." Scheffner kam in den 1980ern nach Berlin. Anfang der 1990er war er Gründungsmitglied von Botschaft e.V., einem Zusammenschluss von Akteuren/innen mit unterschiedlichen Zielen, die in einer ehemals von den Betriebskampfgruppen genutzten Etage des alten WMF-Gebäudes an der Leipziger Strasse temporär Quartier bezogen. Botschaft-Projekte wie die interdisziplinäre Ausstellung »Dromomania - Kult und Ritual der täglichen Fortbewegung« (1990), »Richtig '92« oder »IG Farben - Performance einer Aktie« (1993) sind längst Teil der »Berlin 1990 ff.«-Geschichte, die Arbeit der Gruppe mittlerweile selbst Ausstellungsgegenstand. File under »artist-run spaces«, wie kürzlich auf Mikrofiche in den Kunst-Werken (zehn Jahre danach nur noch: KW) zu sehen war.
Doch auf die Rolle des Anekdotenonkels hat Scheffner ausdrücklich keine Lust, auch wenn die Geschichten naturgemäß dennoch erzählt werden müssen. Umso mehr, als ein »roter Faden« der Aktivitäten von »Botschaft e.V.« in der »Herstellung von sozialen Situationen« lag (Kube Ventura, Wien: 2002).
Scheffners Mitarbeit an der Diskurs-Bar »Friseur der Botschaft« (eröffnet 1991) und dem Filmkollektiv »dogfilm« (1991-1999) können hier also schlecht verschwiegen werden. Mit dem Ende der 1990er verschwanden jedoch auch diese Gruppenzusammenhänge, in denen Scheffner arbeitete. Dabei bewegten sich die Gründe der Auflösung der einzelnen Projekte zwischen bewusster Entscheidung, Desinteresse, Professionalisierungsverweigerung und Motivationsstop. Von hier an blind: »Nach 10 Jahren Gruppenarbeit war Audio ein Supersolofilm«, kommentiert Scheffner seine erste CD »fon« (pong, 2001). »Ich hatte zu dem Zeitpunkt definitiv keinen Mut und keine Überzeugung, einen Film zu machen.«
Diesen Mut fand er wieder, als er später aufbauend auf »a/c« eine Videoarbeit produzierte, für welche er die der CD zugrunde liegenden Videosamples miteinander kombinierte und mit neuem Material mischte. Eingestreutes Found Footage Ausschnitte aus dem 1950er-Jahre-Bollywoodklassiker »C.I.D.« – wurde mit fiktiven Dialogen über air-conditioning (also »a/c«) untertitelt. So produzierte er einen experimentellen Film, der die CD zum Soundtrack umdefiniert, würde man in diesen Kategorien von Bild und Ton argumentieren. Aber Scheffner argumentiert so nicht. Seinem Umgang mit Bild und Tonliegen vergleichbare dokumentarische Arbeitsweisen zugrunde.
»Ton hat mich immer interessiert. Aber da ich von Musik keine Ahnung habe, ist Musik nicht die Referenz, sondern eher Dokumentarfilm. Mit der gleichen Art mit der ich an einen Dokumentarfilm herangehe würde ich auch an eine Tongeschichte herangehen. Die Aufnahme ist mein Mittel, da ich kein Instrument spiele. Ich sehe in meiner Arbeit schon eine Kontinuität in der Fragestellung, wie man mit Material umgeht.«
Wie hört sich das an? Die vielfältigen im Prozess aufgenommenen Töne dringen an die Oberfläche, bis hin zu dem Moment in dem wir unter unseren Kopfhörern nicht mehr sagen können, ob dieser eine "Klick" der Off-Schalter der Kamera in Bombay war, der MiniDisk Recorder im Flugzeug, die Festplatte am Berliner Schnittplatz, der Stecker im Masteringstudio oder ob sich doch nur gerade unser Kühlschrank eingeschaltet hat.
Aber Scheffner geht es nicht nur um diese ästhetische Oberfläche, sondern auch immer um den Kontext in dem Sounds aufgenommen und verwertet werden. »Wenn du dich mit Dokumentarfilm beschäftigst, dann kommst du an dieser Diskussion nicht vorbei, die Frage nach den Produktionsbedingungen. Wer produziert was zu welchem Zweck? Wer spricht über jemanden und zu welchem Zweck? Wer nimmt etwas auf und zu welchem Zweck? In solchen fast ethnografischen Fragestellungen gibt es ganz viele Verbindungen zwischen meiner Arbeit mit Ton und meiner Arbeit im dokumentarischen Film.«
Die Tiefe der Überlegungen über die Hintergründe, Motivationen und Auswirkungen des scheinbar nebensächlichen roten Record-Lämpchens finden bei Scheffner ihren Ursprung in den Diskussionen kollektiver Arbeit. Ein diskursiver Prozess, dem er ambivalent gegenüber steht: »Was bei Gruppenarbeit das Tolle ist, ist gleichzeitig das Ermüdende. Ideen müssen immer diskursiv sein, sonst werden sie nicht auftauchen. Eine Idee, die du nicht vermitteln kannst, die du nicht erklären kannst, die nur als Gefühl da ist, wird eine Gruppendiskussion nicht überleben.«
So ermöglicht die Soloarbeit Ideen am Leben zu halten, die sonst in der Plenumssitzung versanden würden. Aber der Traum vom »alleine« arbeiten war auch ein Traum von Mobilität, den er sich bei »From Here to Here« (2005), in paritätischer Zusammenarbeit mit der indischen Filmemacherin Madhusree Dutta entstanden, erfüllte. »Wir wussten damals: Irgendwann kannst du auf deinem Laptop deinen eigenen Film schneiden. Du brauchst keinen Raum - es ist ganz egal wo du bist. Mit 'From Here to Here' habe ich das zum ersten Mal in Bombay gemacht. Sehr merkwürdig, ich kann nicht mal sagen, dass das richtig toll war.«
Das Filmessay »From Here to Here«, dass sich um die »gegenseitigen Wahrnehmungen im Globalisierungszeitalter« dreht, wird am 13. August 2005 im Haus der Kulturen der Welt als Teil der Veranstaltung »Import/Export« zu sehen sein. Derzeit recherchiert Scheffner unter anderem zusammen mit der Filmemacherin Merle Kröger an einem Featurefilm über das letzte Jimi Hendrix Konzert auf der Ostseeinsel Fehmarn im September 1970. Ein »Hassliebe-Heimatfilm« über die unendlich schöne und doch beklemmend enge Landschaft Schleswig-Holsteins, die Scheffners Jugend prägte.